Pflichtteilsrecht: Beweislast bei fehlerhafter Auskunft des Erben

Pflichtteilsrecht: Keine generelle Beweislastumkehr bei fehlerhafter Auskunft des Erben

BGH, Urteil vom 10.03.2010 – IV ZR 264/08, NJW-RR 2010, 1378; OLG Brandenburg, Urteil vom 05.11.2008 – 13 U 111/07, ZEV 2009, 36

I. Ausgangspunkt

Pflichtteilsberechtigte sind zur Durchsetzung ihres Anspruchs nach § 2303 BGB auf umfassende Auskunft des Erben über den Bestand des Nachlasses angewiesen (§ 2314 Abs. 1 BGB). Doch was gilt, wenn der Erbe seiner Auskunftspflicht nur unvollständig oder objektiv fehlerhaft nachkommt? Führen solche Pflichtverletzungen zu einer Umkehr der Beweislast zulasten des Erben?

Zwei Entscheidungen – eine des BGH, eine des OLG Brandenburg – geben hierauf eine klare Antwort: Nein – zumindest grundsätzlich nicht.


II. Keine Beweislastumkehr allein wegen objektiv unrichtiger Auskunft

Beide Gerichte betonen, dass die bloße objektive Unrichtigkeit einer Auskunft des Erben nicht dazu führt, dass sich die Beweislast für das Bestehen von Nachlassverbindlichkeiten umkehrt. Maßgeblich bleibt die Grundregel: Der Pflichtteilsberechtigte trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Werthaltigkeit des Nachlasses.

„Auch eine fehlerhafte oder unvollständige Auskunft des Erben führt nicht dazu, dass ihm die Beweislast für das Bestehen von Nachlassverbindlichkeiten obliegt.“
(BGH, NJW-RR 2010, 1378, Leitsatz der Redaktion)


III. Pflichtverletzung bleibt nicht folgenlos – aber keine automatische Umkehr

Die Gerichte differenzieren fein zwischen Beweislastregeln und Beweiswürdigung:

  • Eine schuldhafte Verletzung der Auskunftspflicht (z. B. fahrlässige Nichtmitteilung von Nachlassverbindlichkeiten) kann bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden.
  • Sie kann auch zu gesteigerten Anforderungen an die Substantiierung des Erbenvortrags führen.
  • Eine Beweislastumkehr kommt nur dann in Betracht, wenn es aufgrund der Pflichtverletzung tatsächlich zum Verlust von Beweismitteln gekommen ist – was im entschiedenen Fall gerade nicht der Fall war.

IV. Sachverhalte: Pflichtteilsklagen bei später vorgebrachter Nachlassüberschuldung

In beiden Fällen hatten die Erben den Pflichtteilsberechtigten zunächst unvollständige Nachlassverzeichnisse übermittelt. Erst im Laufe des Prozesses wurden erhebliche Darlehensverbindlichkeiten geltend gemacht. Die Kläger bestritten diese – mit dem Argument, sie seien zu spät und ohne Nachweis eingeführt worden.

Sowohl der BGH als auch das OLG Brandenburg erkannten fahrlässige Pflichtverletzungen der Erben an, hielten jedoch fest:

  • Eine Umkehr der Beweislast scheidet aus, weil den Pflichtteilsberechtigten keine wesentlichen Beweismittel verloren gegangen sind.
  • Der Erbe ist im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast dennoch verpflichtet, seinen Vortrag nachträglich substanziiert zu erläutern – etwa durch Vorlage von Kontoauszügen, Grundschuldbestellungen oder Zeugenaussagen.
  • Diese Anforderungen wurden im jeweiligen Fall als erfüllt angesehen.

V. Keine Besserstellung durch Pflichtverletzung

Ein zentrales Argument beider Urteile: Eine Beweislastumkehr würde den Pflichtteilsberechtigten besserstellen als im Fall einer ordnungsgemäßen Auskunftserteilung.

„Derjenige, dem zunächst fehlerhaft Auskunft erteilt wurde, dürfte dann höhere Anforderungen an den Erben stellen als ein Pflichtteilsberechtigter, dem von Anfang an korrekt Auskunft erteilt wurde.“
(OLG Brandenburg, ZEV 2009, 36)


VI. Ausnahmefälle: Arglist und Beweisvereitelung

Nur in Extremfällen – etwa bei arglistigem Verhalten oder bewusster Beweisvereitelung durch den Erben – kann eine Beweislastumkehr gerechtfertigt sein. Diese Konstellation lag in beiden Entscheidungen jedoch nicht vor.


VII. Fazit

Die Entscheidungen des BGH und des OLG Brandenburg schaffen Klarheit im Pflichtteilsrecht:

  • Die bloß fehlerhafte oder unvollständige Auskunft des Erben führt nicht automatisch zu einer Beweislastumkehr.
  • Die Beweislast für die Werthaltigkeit des Nachlasses liegt weiterhin beim Pflichtteilsberechtigten.
  • Eine Pflichtverletzung durch den Erben führt zu gesteigerten Anforderungen an dessen Vortrag, nicht jedoch zur Beweislastumkehr – es sei denn, es kommt zum Beweisverlust.
  • In der gerichtlichen Praxis ist deshalb sorgfältig zwischen Pflichtverletzung, Beweiswürdigung und Beweislastumkehr zu unterscheiden.

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